Jugendliche zeigen starkes Demokratie-Gefühl: Projekte und ein NS-Zeitzeuge beeindrucken bei langer Nacht der Demokratie

Viele Bekenntnisse zur Demokratie, aber wenige ihrer Vertreter aus Stockach: So sah es bei der Langen Nacht der Demokratie im Kulturzentrum Altes Forstamt aus. Am Vorabend des Tages der Deutschen Einheit gab es erneut Beiträge, Lesungen, Musik und mehr, die allesamt bewiesen, welchen Rückhalt die Demokratie in Stockach hat.

Die Worte von Schülerinnen der Realschule und des Gymnasiums drückten die Bedeutung der Macht des Volkes ganz besonders aus und erhielten sehr viel Applaus. Die Neuntklässlerinnen Leticia und Matilda vom Schulverbund sprachen über die Wichtigkeit des Wahlrechts und hoben zudem Rechte und Pflichten in der Demokratie hervor. „Die Demokratie ist ein Privileg, das erhalten werden muss. Die Demokratie muss verteidigt werden“, sagten sie.

Lina, Luise, Kyra und Alina aus dem K1 GK-LK am Nellenburg-Gymnasium waren sogar noch deutlicher: „Demokratie ist für uns wichtig, da sie unsere Zukunft ist und wir ihre Zukunft sein werden.“ Sie hoben unter anderem hervor, dass sie bald wählen gehen dürfen und damit ihre eigenen Werte vertreten können.

Bürgermeisterin Susen Katter eröffnete übrigens den Abend, war allerdings bis auf wenige Ausnahmen die einzige aktive Vertreterin eines demokratischen Amts in Stockach. Aus dem Gemeinderat nahmen Alice Engelhardt (Grüne) und Marcel Reiser (SPD) teil – beide in Doppel- oder sogar Dreifachfunktion. Sie ist gleichzeitig die Vorsitzende des neu gegründeten Vereins „Demokratisch – Raum Stockach“, der zum Rahmenprogramm beitrug, und er ist dort ebenfalls engagiert, präsentierte aber auch als Lehrer mit einer Gruppe seiner Schülerinnen ein Projekt. Ansonsten waren frühere Räte da, aber kaum amtierende Mitglieder oder Ortsvorsteher. Das sorgte hier und da für Verwunderung.

Allerdings tat dies der Botschaft, Bedeutung und vor allem dem Erfolg des Abends keinen Abbruch. Der Austausch war rege und die Angebote kamen sehr gut an. Susen Katters Plädoyer für die Demokratie und ein warnender Verweis an die aktuellen Ereignisse in Amerika, die ein Drehbuch dafür seien, wie man die Demokratie abschaffe, war nur der Beginn eines Programms, das berührend, informativ und ein Leuchtfeuer war. „Demokratie ist angreifbar und nicht selbstverständlich“, betonte sie. Man müsse immer wieder Signale dafür setzen und es sei wichtig, über sie zu sprechen.

Alice Engelhardt sprach als Vorsitzende einige Worte im Namen des Vereins „Demokratisch – Raum Stockach“ und hob das „tolle Grundgesetz“ von Deutschland hervor. Sie betonte zudem, dass man wertschätzend miteinander umgehen müsse und gab Einblicke in die Gründe für den Verein, zu dem es am 21. Oktober einen Vorstellungsabend geben werde.

Auf Initiative des Vereins „Demokratisch – Raum Stockach“ war Constanze Fleiner anwesend, die im Ausland studiert hat, aber während der Corona-Zeit bei ihrem Großvater Robert Eck in Radolfzell gewohnt und mit ihm ein Filmprojekt umgesetzt hat. Das beeindruckende Ergebnis war ein 20minütiger Film eines Zeitzeugen, der ganz offen über seine Jugend während der Zeit des Zweiten Weltkriegs sprach und beklemmende Details schilderte. Das Besondere daran: Sein Vater, ein Anhänger der Kaiserzeit, hatte nichts vom Nationalsozialismus gehalten und dementsprechend gab es eigene Meinungen in der Familie und einen kritischen Blick auf die politischen Geschehnisse.

Das Publikum nutzte die Gelegenheit, nicht nur über den Film zu sprechen, sondern brachte auch eigene Erfahrungen ein, wie Familien über jene Zeit gesprochen haben oder was Tabu-Themen waren. So entstand ein spannender Austausch und ein sehr wichtiger Satz von Robert Eck, der heute 97 Jahre alt ist, hob sich als eine Kernaussage des Abends heraus: Man müsse vor solchen Zuständen wie in der NS-Zeit vorbeugen, denn wenn sich erst etwas etabliert habe, werde es schwierig, davon wegzukommen.

Die Bekenntnisse zur Demokratie waren so vielfältig wie die Menschen in den Räumen: Schüler von Gymnasium und Schulverbund stellten Projekte zur Demokratie vor, Autorin Christa Ludwig las aus ihren Essays vor, Stadtmuseums- und Archivleiter Julian Windmöller sprach über Ereignisse von 1848, ein Demokratie-Rad lud zum nachdenken über demokratische Themen ein, die Caritas hatte eine Aktion zur Demokratie und stellte ihre Angebote vor, es gab eine kurze kirchliche Andacht und die Kulturbrücke hatte verschiedene Angebote wie einen Escape Room der etwas anderen Art dabei.

Statt in einem Raum eingeschlossen zu sein und Rätsel für den Ausgang zu lösen, funktionierte es hier so, dass man verschiedenen Stationen zur Demokratie, Flüchtlingen und Integration ablaufen konnte. Dabei gab es an jeder Station eine Aufgabe zu lösen – man konnte gleichzeitig das Wissen testen und dabei noch etwas lernen, um Nummern für ein Zahlenschloss zu einer kleinen Kiste zu erlangen.

Drei syrische Brüder sorgten in einer der Pausen für musikalische Unterhaltung und natürlich gab es auch eine kleine Bewirtung auf Spendenbasis, wobei beschriftete Fähnchen auf den Brötchen gleichzeitig auch zu einer weiteren Mitmach-Aktion gehörten: An einer Wand hingen Ausschnitte aus der Landesverfassung als Lückentext – die fehlenden Worte standen auf den Fähnchen und konnten zugeordnet werden.

Passend dazu lagen auch auf allen Tischen im kleinen Taschenbuchformat das Grundgesetz von Deutschland samt Landesgesetz von Baden-Württemberg aus. Windmöller erklärte, man könne diese kostenlos bei der Landeszentrale für politische Bildung bestellen. Das sei vor allem für Schulen ein sehr interessantes Angebot.

Die wohl wichtigen Botschaften und Erkenntnisse des Abends waren nicht nur die markanten Worte von Robert Eck aus dem Kurzfilm, sondern auch, dass die Jugendlichen ein starkes Bewusstsein für die demokratischen Prozesse sowie deren Bedeutung haben. Ihr Lehrer Simon Thoma sagte nach dem Vortrag seiner Neuntklässlerinnen sogar: „Ich habe manchmal das Gefühl, dass das Demokratie-Gefühl bei Jugendlichen stärker ist als bei Erwachsenen.“

Und was nicht alle wussten: Ein Balkon in der Stockacher Hauptstraße spielt für Deutschland eine große Rolle beim Thema Demokratie. Denn dort, vom Dandler-Haus aus, hatte Josef Fickler im März 1848 die erste deutsche Republik ausgerufen, auch wenn die Revolution niedergeschlagen worden war.

Zudem berichtete Julian Windmöller in seinem Kurzvortrag auch, wie der Hecker-Zug bei der Badischen Revolution durch die Hauptstraße gezogen war und Hecker vom selben Balkon aus eine Rede gehalten habe.

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