Wie wichtig die Bürgermeisterwahl in der Gemeinde Reichenau den Einwohnern ist, zeigte sich bei den beiden Kandidatenvorstellungen. Die Inselhalle platzte sogar fast aus allen Nähten – die Plätze waren restlos belegt und an der Wand entlang standen auch zahlreiche Zuhörer.
Bürgermeister Wolfgang Zoll zeigte sich in der Begrüßung beeindruckt und fasste diese Resonanz in Zahlen: Zusammen mit der wenige Tage vorher vorangegangenen Veranstaltung in der Waldsiedlung wollten rund 1000 Bürger die Kandidaten Mario Streib und Philipp Stolz kennenlernen. „Das ist ein Viertel der Wahlberechtigten“, erklärte Zoll. Von Politikverdrossenheit gebe es keine Spur.
Der Abend war zweigeteilt – erst die Kandidatenvorstellung der Gemeinde, dann die Podiumsdiskussion der Tageszeitung. Obwohl auch die moderierte Debatte sehr aufschlussreich war und klare Meinungen forderte, zeigten die Kandidaten bereits in den jeweils 15 Minuten der kommunalen Vorstellungsmöglichkeit, sehr deutlich wie sie ticken. Die Männer nutzten ihre Redezeit, bei der jeweils der andere nicht im Raum sein durfte, gut und setzten unterschiedliche Prioritäten, was sie von sich erzählen wollten und wie genau sie dies taten.

Der größte Unterschied: Mario Streib setzte vor allem auf die Betonung seiner Fähigkeiten durch die Leitung des Hauptamts und an welchen Projekten er beteiligt ist oder war, während Philipp Stolz einige Anekdoten einfließen ließ und persönliche Einblicke gab.
Hauptamtsleiter ist an vielen Projekten beteiligt
Streib durfte den Anfang machen, da er seine Bewerbung zuerst abgegeben hatte und auf Platz 1 auf dem Stimmzettel steht. In der Darstellung seines Werdegangs stellte er heraus, dass er auf der Hochschule in Kehl gewesen sei, die eine Bürgermeisterschmiede sei, da man dort entsprechendes Handwerk lerne. Für ihn sei immer klar gewesen, dass er in einer kleinen Gemeinde arbeiten wolle.

Er nannte eine ganze Liste von Projekten, bei denen er in seiner Zeit als Hauptamtsleiter der Gemeinde Reichenau mitgewirkt hat, zum Beispiel den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und bessere Ausstattung für die Feuerwehr. Beim Thema Grundsteuer renne er aktuell die Türen beim Finanzamt ein, beschrieb er.
„Ich will nicht wegen dem Titel Bürgermeister werden, sondern wegen den Menschen, die die Gemeinde einzigartig machen“, sagte der 37-Jährige, der gemeinsam mit seiner Frau in Konstanz wohnt. Die Leute würden ihn motivieren und er sehe das Potenzial sowie die Möglichkeiten der Gemeinde, die er zusammen mit den Einwohnern in die Zukunft führen wolle.
Wohnen ist das oberste Kernthema für Streib
Ehrenamt stellte er als eine sehr wichtig Sache heraus. Zudem sprach er auch die Bedeutung von Transparenz an – nur wer verstehe, könne etwas mittragen. Streib nannte die Gemeinde einen Dienstleiter für die Einwohner und er bringe die erforderliche Kompetenz an der Spitze. Er nannte fünf Kernpunkte, die er verwirklichen möchte: Das erste war das Baugebiet Lindenbühl-West, dessen Flächen kreditfinanziert sind. Gleichzeitig solle aber auch auf der Insel behutsam Wohnraum entwickelt werden. Zum Zweiten möchte er eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft, da wohnen kein Luxusgut werden dürfe.
Ein weiterer Kernpunkt ist für ihn der Abbau von Sanierungsstau und die Nutzung von Fördermitteln. Besonders im Hinblick auf die Schule sagte er: „Kinder sind unsere Zukunft.“ Gleichzeitig blickt er auch auf die Senioren. Die Gemeinde müsse die Weichen für den Ausbau von Pflege- und Betreuungsplätzen stellen sowie weitere Angebote schaffen. Und schließlich wolle er auch das Ehrenamt stärken und ein Haus der Vereine schaffen, um ihnen etwas zurückzugeben.

„Es braucht einen aktiven, anpackenden Bürgermeister. Ich handle und spreche nicht nur. Ich bin bürgernah und ein Verwaltungsfachmann. Ich habe 13 Jahre Erfahrung in der Verwaltung und 12 Jahre Führungserfahrung“, sagte er. „Ich bin in den Themen drin und kann direkt loslegen.“ Er wolle dabei Schwächen der Gemeinde in Chancen verwandeln. Er wollte neue Impulse setzen und als erfahrener Steuermann frischen Wind reinbringen – „kein weiter so“.
Fakten mit einer Prise Anekdoten
Philipp Stolz begann seine Redezeit ebenfalls mit einem Einblick in seinen Werdegang und was er an Erfahrung mitbringt. Er ist in Stockach aufgewachsen, wo sein Vater Bürgermeister war, und erzählte, wie er als Teenager bereits Ratssitzungen verfolgt habe. Er hat ebenfalls Verwaltung in Konstanz und Speyer studiert, war dabei auch zeitweise in Estland, wo er festgestellt habe, dass sich der Blick von außen lohne. Seine bisherigen beruflichen Stationen als Wirtschaftsförderer in Salach und aktuell als Leiter der Stabsstelle Digitalisierung in Schorndorf seien bewusst entfernt von Stockach, wo der Familienname Stolz nicht bekannt sei.
Der 32-Jährige ließ immer wieder persönliche Erfahrungen und Erkenntnisse in die Fakten und seiner Ziele einfließen. So bemerkte er, wie schön es in seiner Zeit in Salach gewesen sei, das letzte Fax in der Verwaltung abschalten zu können und erntete damit amüsiertes Lachen.

In seiner Vorstellung wurde deutlich, wie wichtig ihm Digitalisierung und Transparenz sind. Er beschrieb, wie durch die Digitalisierung und Arbeitserleichterung im Rathaus mehr Zeit für die Menschen geschaffen werden könne und solle. Im Sinne der Transparenz, die er immer verfolge, erklärte er, dass für ihn ein Wahlkampf in einer anderen Gemeinde nicht in Frage komme. Die Gemeinde Reichenau sei der Ort, in dem er Bürgermeister werden wolle. „Die Menschen leben hier und wohnen nicht nur“, sagte er.
Geschichte und Tradition seien ihm wichtig – die Reichenau versinnbildliche diese Werte. Im Alter von 14 Jahren habe er auf der Reichenau von einer Museumsführerin etwas gehört, das ihn bis heute präge: „Tradition ist nicht das Aufbewahren der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ Er wolle auf den Werten, die die Menschen verbinden, ausbauen. Er wolle die Verwaltung der Gemeinde zu einer der schlagkräftigsten der Region machen.
Transparenz steht ganz oben
Natürlich griff auch er einige Kernpunkte heraus. Seine Priorität: „Ich schulde ihnen Transparenz.“ Die Bürger sollen immer wissen, wie er die Dinge sehe. Und er wolle wolle die Flamme weitergeben, griff er das prägende Zitat erneut auf. „Die Flamme braucht aber manchmal frischen Wind.“

Nach diesem persönlichen Start in die Themen nannte er die frühkindliche Bildung als ihm wichtiges Thema, da diese die Pfeiler für ein solides Fundament bilden. Er wolle einen zentralen Standort für die Kinderbetreuung. Als dritten Punkt sprach der Lindenbühl-West an, ein hochkomplexes Baugebiet, das Chancen biete. Dort sollen Leute Wurzeln schlagen können und zum sozialen Leben der Gemeinde und in den Vereinen beitragen. Das Gebiet solle keine Wohninsel für Konstanz werden.
Im Hinblick auf den Investitionsstau in öffentlichen Gebäuden sehe er die Chance Synergien zu schaffen. Man müsse gemeinsam Prioritäten bei den Sanierungen setzen – dabei sei auch klar, dass man nicht alle Wünsche erfüllen könne.
Schließlich betonte er, wie wichtig das Zusammenrücken und das miteinander Sprechen sei. Er sehe die Verwaltung als einen Brückenbauer und es laufe auf die Frage hinaus, wie aus der Summe der Einzelteile mehr werden könne. „Das Potenzial ist da“, sagte er überzeugt.
Kandidaten zeigen deutliche Unterschiede
Die Reden waren jeweils spannend, da sie zeigten, wie die Kandidaten auf die Menschen, die vor ihnen saßen, zugehen. Mario Streib hielt das Persönliche eher knapp – auch sein Wahlkampf und seine Internetseite zeigen, dass er überwiegend darauf setzt, zu zeigen, was er bisher in Reichenau gemacht hat und was er nun möchte. Seine Rede war etwas nüchterner als die seines Konkurrenten, auch wenn er seine starke Verbindung zur Insel betont. Vom Familienhintergrund erfahren die Wähler nur, dass er verheiratet ist – da gibt es bei Philipp Stolz mehr Greifbares im Wahlkampf und in der Vorstellungsrede.

An den Reaktionen des Publikums sah man, dass sich Philipp Stolz erfolgreich nahbar machen und als Mensch vorstellen konnte. Damit setzte er seinen Kurs im Wahlkampf fort, den man mit Beiträgen und Videos in den sozialen Netzwerken verfolgen kann. Wer zuhause war, als er auf seiner Tour durch die Gemeinde überall geklingelt und seinen Flyer vorbei gebracht hat, hat ihn sogar schon vor diesem Abend persönlich erlebt.
Der Wahlkampf geht weiter
Und nun? Bis zum Wahl am 9. November sind es nur noch knapp zweieinhalb Wochen. Die Wähler konnten sich durch die Vorstellungen auf der Bühne ein direktes Bild von den beiden Männern, ihrer Persönlichkeit und ihren Prioritäten machen. Trotzdem ist der Wahlkampf noch nicht zuende. Mario Streib plant weitere Nah-Dran-Gespräche und zwei Bürgerdialoge. Philipp Stolz macht am Wochenende Hausbesuche in Nieder- und Mittelzell – mehr Termine sollen folgen.
Anmerkung: Da der zweite Teil des Abends nicht von der Gemeinde ausgerichtet wurde, berichtet „Tiefgang“ nicht darüber und respektiert die Hoheit des zweiten Gastgebers, der seine eigene Berichterstattung hat.

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