Eine geschichtsträchtige Bürgermeisterwahl kommt am 9. November auf die Gemeinde Reichenau zu: Da Wolfgang Zoll aufhört, erhalten die knapp 5600 Einwohner auf jeden Fall einen neuen Rathaus-Chef. Und der wird jung sein und Verwaltungserfahrung mitbringen – beide Kandidaten verfügen über Fachwissen und sind 32 bzw. 37 Jahre.
Dass es so geeignete Kandidaten gibt und hier sogar gleich zwei, ist nicht mehr selbstverständlich, wenn man auf Wahlen in den vergangenen Jahren im Kreis Konstanz schaut. In Stockach kamen vor zwei Jahren erst mehrere Bewerber ohne Vorwissen und mit teils merkwürdigen Ansichten, ehe mit Susen Katter eine Frau mit Erfahrung in den Wahlkampf einstieg und deutlich den Sieg holte. Bei der aktuell anstehenden Wahl in Volkertshausen lief es schleppend an – nun stehen zwar vier Kandidaten auf dem Wahlzettel, aber zwei sind nicht aus der Verwaltung, einer ist amtierender Bürgermeister in Mühlingen und einer trat im bereits September in Aach an, wo er mit seinem Verhalten für Irritation sporte.
Reichenau erhält, was andere sich wünschen
Reichenau hat also jetzt schon das große Los gezogen und erhält einen Bürgermeister mit Verwaltungs- und Führungserfahrung, sofern nicht die Mehrheit der Wahlberechtigten einen ganz anderen Namen in die freie Zeile auf dem Wahlzettel einträgt.

Aber wer sind die beiden Männer, die künftig die Geschicke der Gemeinde lenken wollen? Mario Streib hat seine Bewerbung direkt am ersten Tag der Frist abgegeben, Philipp Stolz kam im August dazu. Natürlich sind beide schon lange und sehr fleißig im Wahlkampf aktiv, auch wenn sie erst mit der Sitzung des Wahlausschusses zum Ende der Bewerbungsfrist offiziell als Kandidaten zugelassen wurden.
Beide haben deutliche Gemeinsamkeiten, aber ebenso große Unterschiede. Beide sind vom Fach und verfügen über Berufs- und Führungserfahrung. Sie kennen auch beide die Region: Streib zog vor neun Jahren mit seiner Frau nach Konstanz, als er die Stelle im Reichenauer Rathaus angetreten hat. Philipp Stolz ist ein Kind der Region und in Stockach aufgewachsen – zum Studium und für sein bisheriges Berufsleben zog es ihn in den Großraum Stuttgart. Nun wollen sie beide dasselbe: Bürgermeister der Gemeinde Reichenau werden.
Im Folgenden gibt es den direkten Vergleich zwischen den Bewerbern, ihren Zielen und wie sie um Stimmen werben.
Wer ist Mario Streib?
Der verheiratete 37-Jährige stammt aus dem Rhein-Neckar-Kreis und studierte in Kehl Verwaltung. Er wurde dann stellvertretender Hauptamtsleiter in Wiernsheim und folgte ein Jahr später auf den Hauptamtsleiter, als dieser wegging. Im Jahr 2016 habe seine Frau eine Stelle als Richterin in Konstanz angetreten und er sei als Haupt- und Personalamtsleiter in die Gemeinde Reichenau gekommen, erzählt er. Seit damals wohnt die Familie in Konstanz.
In der Zeit in Reichenau habe er die Gemeinde detailliert kennengelernt und sei mit allen Themen vertraut. „Ich habe mich schon immer in einer kleinen Gemeinde wohlgefühlt“, so Streib im Gespräch. Er schätze den Bürgerkontakt.

Streib sagt, die Reichenau liege ihm am Herzen und er wolle ihre Zukunft mitgestalten. Für ihn sei nach vielen Jahren im Hauptamt nun die Zeit für den nächsten Schritt gekommen. Er sei überzeugt, dass er alles mitbringe, was ein Bürgermeister können müsse. Er kenne zudem seit neun Jahren die Stärken und Schwächen der Gemeinde – so sehe er sich für alles gerüstet. In der Familie habe er großen Rückhalt. „Das ist mir wichtig, sonst würde ich es nicht machen.“
Mit seiner Bewerbung direkt zu Beginn der Frist habe er ein klares Signal setzen wollen. Die Gemeinde sei für ihn eine Herzensangelegenheit. Streib sagt, er wolle nicht nur verwalten, was ist, sondern neue Impulse setzen. Die Gemeinde brauche frischen Wind, aber auch jemanden mit Erfahrung am Steuer.
Der 37-Jährige beschreibt im Gespräch, wie sehr ihm die Gemeinde ans Herz gewachsen sei. Er habe über den nächsten Schritt nachgedacht, als er erfahren habe, dass sein Vorgesetzter bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten wolle. Im Fall seiner Wahl würde Familie Streib ein Haus im Neubaugebiet Lindenbühl anstreben.
Wer ist Philipp Stolz?
Der 32-Jährige ist ledig, aber in einer festen Beziehung. Er wuchs in Stockach auf und lernte die Kommunalpolitik schon von Kindesbeinen an kennen, da sein Vater Rainer Stolz von 1993 bis Ende 2023 fast vier Amtszeiten lang Bürgermeister von Stockach war. Philipp Stolz studierte erst Politik und Verwaltungswissenschaften in Konstanz, gefolgt von einem Masterabschluss in Public Administration in Speyer und Thallinn (Estland). Im Großraum Stuttgart sammelte er Erfahrungen als als Digitalisierungsbeauftragter, Wirtschaftsförderer und Projektmanager. Seit 2022 arbeitet er als Leiter der Stabsstelle Digitalisierung in Schorndorf. Da Philipp Stolz einen Zwillingsbruder namens Christoph hat, kann man manchmal doppelt sehen.
Seine Familie steht bei seiner Bewerbung als Bürgermeister der Gemeinde Reichenau hinter ihm – alle hätten sich gefreut, als er von seiner Bewerbung erzählt habe. „Ein paar waren überrascht, Chris aber nicht“, erzählt er. Sein Bruder ist übrigens seit Mitte 2023 Bürgermeister der Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, wo Matthias Weckbach nach drei Amtszeiten nicht mehr angetreten war.

Nach längerer Zeit weit weg von der Familie ziehe es ihn hierher an den Bodensee zurück, erzählt Philipp Stolz. Er habe viele Ideen für die Gemeinde und wolle bewusst dort Bürgermeister werden. „Die Gemeinde Reichenau steckt voller Potenzial“, sagt der 32-Jährige, der anpacken möchte. Er kenne Reichenau seit seiner Kindheit, habe sehr gute Erinnerungen an die Gemeinde und sei über die Jahre immer wieder dort gewesen. Er glaube, er bringe die Erfahrung mit, die Gemeinde voranzubringen. Er wolle seiner Heimat etwas zurückgeben.
Aber wäre dann Stockach nichts gewesen? Nein, die Wahl vor zwei Jahren sei für ihn keine Option gewesen, erklärt er auf diese Frage. Immerhin sei das Bürgermeister-Amt keine Erbmonarchie. Damals habe er sich ohnehin noch nicht soweit gefühlt. Inzwischen habe sich das geändert und er habe auch viel Führungserfahrung sammeln können. Falls er gewählt wird, würde er in die Gemeinde ziehen.
Vor seiner Bewerbung sei er mehrfach im Reichenauer Gemeinderat oder auf Festen gewesen, um sich mit dem Ort und den Themen vertraut zu machen. Die Menschen zu erleben, habe ihh darin bestärkt, sich zu bewerben. Da er und sein Zwillingsbruder sich zum Verwechseln ähnlich sehen, hätten sich manche gewundert, was der Bürgermeister von Bodman-Ludwigshafen so oft in Reichenau mache, erzählt er schmunzelnd. Mit Abgabe der Bewerbung habe er das dann auflösen können.
Für den Wahlkampf pendelt er übrigens immer für das Wochenende von Schorndorf hierher oder setzt zusätzlich Urlaub und gesammelte Überstunden ein. Sein jetziger Chef und sein Team würden ihn unterstützen.
Was wollen die Kandidaten für Reichenau?
Eigentlich ist es keine Überraschung, dass beide fast dieselben Kernthemen haben. Alles würde hier den Rahmen sprengen, daher im Folgenden einige wichtige Punkte. Bei „Wohnen und Bauen“ ist beiden zum Beispiel das Baugebiet Lindenbühl-West sehr wichtig. Philipp Stolz hat dabei das konkrete Ziel: Erstbezug bis 2030. Streib betont auch die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.
Mario Streib möchte neben einer zeitgemäßen Kinderbetreuung unter anderem auch eine Modernisierung Entwicklung der Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen und Mehrzweckhallen. Zudem möchte er auch eine Ausweitung der Angebote für Senioren. Verlässlichkeit bei der Kinderbetreuung ist Philipp Stolz wichtig und hat für ihn noch vor dessen Ausbau Priorität, damit es keine Ausfälle gibt. Dennoch hat er auch konkrete Vorstellungen, wo und wie es Erweiterungen geben soll.

Eine moderne Verwaltung ist ebenfalls ein Ziel von Philipp Stolz. In der Digitalisierung kenne er sich sehr gut aus und sein Ziel sei eine kleine, aber hochwirksame Verwaltung für Reichenau, sagt er. Zudem wolle er die Mitarbeiter fördern und die Gemeinde zu einem Musterbeispiel für einen öffentlichen Arbeitgeber machen. „Eine moderne Verwaltung lebt von den Menschen, die in ihr arbeiten“, so Stolz.
Wirtschaft, Handel und Gewerbe sind bei beiden Kandidaten ein wichtiges Thema: Neue Flächen sollen entwickelt werden und der Arbeitsstandort gesichert werden, so Streib. Stolz möchte konkret die Marke Reichenau stärken und Landwirte im Wandel unterstützen.
Stolz und Streib sind auf das Welterbe, Gemeindeleben und Ehrenamt bedacht. „Das Welterbe und das Vereinsleben machen die Reichenau besonders – sie verbinden Geschichte, Engagement und Gemeinschaft“, betont Philipp Stolz. Es sei wichtig, das kulturelle Erbe zu pflegen und Ehrenamt zu unterstützen.
Mario Streib listet in diesem Themenkomplex zum Beispiel ein Bürgerbudget für gemeinwohlstärkende Projekte auf. Auf seiner Internetseite schreibt er: „Mir ist es jedoch wichtig, die Ziele nicht starr vorwegzunehmen, sondern mit Ihnen ins Gespräch zu kommen, so dass wir uns über den Weg und die Priorisierung austauschen können.“
Wie gehen sie an den Wahlkampf heran?
Die Kandidaten sind seit Wochen fleißig dabei, sich und ihre Ziele für die Gemeinde Reichenau zu präsentieren. Das ist an dieser Stelle eine gute Gelegenheit, einen Blick darauf zu werfen, wie genau sie das machen. Beide haben Internetseiten und Kanäle in den sozialen Medien – auf den Internetseiten sind weitgehend dieselben Infos zu finden, also zur eigenen Person, ein Lebenslauf, eine Terminübersich, Kernthemen sowie eine Kontaktmöglichkeit. Streib hat zudem eine Zusammenfassung von Projekten, die er als Hauptamtsleiter mit dem Rathaus-Team umgesetzt hat. In den sozialen Medien zeigt sich eine unterschiedliche Herangehensweise.
Mario Streib zeigt vor allem, wo er unterwegs ist und mit wem er gesprochen hat. Dabei gibt es auch hier und da einen Blick hinter die Wahlkampfkulissen oder persönliche Einblicke, zum Beispiel den Hochzeitstag. Bisher hat er noch keine Wahlziele in den sozialen Medien vorgestellt – diese gab es bisher bei seinen Terminen oder man kann sie auf seiner Homepage nachlesen. Eines seiner Fazits dort: „In der Gemeinde Reichenau wachsen nicht nur Jungpflanzen – hier wächst Vertrauen, Stärke und Zukunft.“ Er finde es beeindruckend, wie viel Herzblut in den Betrieben von Reichenau stecke.
Philipp Stolz nimmt die potenziellen Wähler auf mehreren Ebenen mit: Er postet neben Fotos auch Videos, um relativ live zu zeigen, wo er gerade unterwegs ist, um sich persönlich an den Haustüren vorzustellen. In seiner persönlichen Vorstellung in Bild und Text gibt es auch eine ordentliche Portion Humor und Selbstironie, wenn er von mangelnder Kreativität bei der Berufswahl in der Familie spricht: Der Vater war 30 Jahre lang Bürgermeister von Stockach und sein Bruder Christoph ist seit zwei Jahren Bürgermeister von Bodman-Ludwigshafen.
Wie sind die Erfahrungen im Wahlkampf?
Mario Streib beschreibt die Resonanz sei positiv. Er führe viele Gespräche, um zu erfahren, was den Menschen wichtig sei. Auf die Frage, was am häufigsten zur Sprache kommt, sagt er, es sei die, was er mache, falls er nicht gewählt werde. Darauf antworte er ganz offen, dass er sich dann eine neue Herausforderungen suchen würde, da das Ziel dann nicht erreicht wäre. Häufig werde er auch gefragt, ob er sich das Amt und die Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat zutraue. Seine Gegenfrage sei dann, was jemand dafür mitbringen müsse.
Und welche Ortsthemen kommen zur Sprache? Das hänge jeweils von der Lebenssituation der Gesprächspartner ab. Jeder habe eigene Interessen, so Streib.

Philipp Stolz mache der Wahlkampf viel Spaß und er merke, wie die Bürger Lust auf Ideen hätten, sagt er. Das Ehrenamt sei sehr aktiv und die Einwohner seien stark verwurzelt – im Gegensatz zu Schorndorf, wo es viele Wechsel durch Wegzüge gebe. Bei ihm sei die häufigste Frage, warum er bei der Wahl kandidiere – das erkläre er dann natürlich. Zudem kämen herausstechende Ortsthemen wie Wohnungsbau oder Kita-Plätze und die Kita-Infrastruktur oft zur Sprache.
Die beiden Männer wollen übrigens beide einen fairen Wahlkampf, da es ihnen um das Wohl der Gemeinde geht.
Und was, wenn es nichts wird?
Mario Streib sagt offen und ehrlich trotz der starken Verbindung zu Reichenau, er wolle einen Karriereschritt machen und entweder dort Bürgermeister werden oder woanders hingehen. Philipp Stolz würde in seinem jetzigen Job bleiben, falls er bei der Wahl unterliegen sollte. „Ich wachse an mir selbst, egal was passiert“, sagt er.
Wichtige Termine im Wahlkampf
Die offiziellen Abende zur Kandidatenvorstellung der Gemeinde finden am Donnerstag, 16. Oktober, um 19 Uhr in der Pfaffenmooshalle/Waldsiedlung und am Dienstag, 21. Oktober, um 19 Uhr in der Inselhalle/Insel Reichenau statt.
Die Bürgermeisterwahl ist am Sonntag, 9. November. Sollte an diesem Tag keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit der Stimmen, also mehr als 50 Prozent, erhalten, wäre der Termin für eine Stichwahl am Sonntag, 30. November, zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen, also automatisch Streib und Stolz, da sonst niemand auf dem Wahlzettel steht.
Mehr Infos zu den Kandidaten gibt es unter:
www.mario-streib.de
www.philipp-stolz.de
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